Würzburg 12 Dec. 1895
Liebe Lotte! Heute erst kom̄e
ich dazu Dir Deine uns so freund-
lich zugesandten Papiere zurück-
zusenden. Ich habe dieselben zu
verschiedenen Medizininern gebracht,
doch waren die Herrn Alle auf's
Beste orientiert. Wie Du Dir den-
ken kan̄st, herrscht ein allgemein-
es, großes Bedauern, über den
unglücklichen Todt. Hoffentlich
gelingt es den Verwandten,
den wichtigen Thatbestand auf-
zuklären, was wohl augen-
blicklich für die trauernde
Familie, der größte Trost
wäre.
Sehr leid thut es mir, daß ich
vergaß, dir den Negrolog zu-
rück zu senden; es geht mir
oft so vieles durch den Kopf,
daß ich leicht etwas vergeße.
Mit meiner Weihnachtsar-
beit, werde ich hoffentlich mor-
gen fertig. Dan̄ gehen wir
auf 2 Tage nach Frankfurt, um
da noch etwas für den Weih-
nachtstisch zu finden. Bis jetzt
habe ich noch nichts Gescheidtes für
meinen Man̄ gefunden, ich
bin eben so dum̄.
Ich fürchte, daß es bei Euch keine
sehr vergnügte Weihnachten
geben wird, wen̄ Euch täglich
so traurige Nachrichten kom̄en.
Wir sind nur sehr froh, daß
es den Eltern wieder so viel
besser geht und Dir diese
große Sorge wieder abgenom-
men ist; bleibt Dir doch noch
der Sorgen genug.
Daß Du so viele Zuhörerinnen
hast, freut uns riesig; ob es
nun aber unter diesen Um-
ständen klug ist, Dich wieder
mehr mit der Malerei zu
befaßen, insbesondere währ-
end der kurzen Wintertage,
möchten wir nicht ganz zugeben.
Wir wissen ja wohl, daß Du
über eine sehr große Ausdauer
in der Arbeit verfügst, aber
auch dem Zähesten liebe Lotte,
kan̄ es einmal zu viel wer-
den. Mein guter Man̄ ar-
beitet mir jetzt auch zu viel,
doch läßt sich hier nicht dage-
gen machen; ich muß mich ja
mit ihm freuen, daß er eben
eine so anregende Arbeit ge-
funden, und daß er sich so viel
frischer fühlt als in den letzten
Jahren.
Aber nun mußt Du wieder
genügsam sein, mit dem kur-
zen Bericht, es ist schon 10 Uhr,
da gehe ich doch zu Bett, den̄
ich huste doch noch ein paar
Stunden bis der Schlaf kom̄t.
Grüße Deine Lieben von uns
Beiden und sei auch Du
freundlich gegrüßt.
Ist Mariele nun wieder zu
Haus?
Deine getreue Tante
Bertha