Würzburg 13. Mai. 1895
Liebe Lotte!
Denke nicht schlecht von mir, das ich so
lange wartete um Deinen Brief ent-
haltend Glückwünsche zu meinem Ge-
burtstag zu übersenden beantworten.
Wir sind schon sei dem 25. April zu
Hause, aber wir waren bis jetzt so
mit allerlei Arbeiten überhäuft,
daß ich erst jetzt dazu kom̄e für die
herzlichen Wünsche meiner guten Freun-
de zu danken. Wohl ist es für die Freun-
de etwas umständlich ihre Glückwün-
sche im̄er in die Ferne zu senden, aber
thut mir doch so in̄erlich wohl, daß mich
keiner vergißt, daß ich doppelt dankbar
dafür bin. Wir feierten diesen Tag
in Baden-Baden mit unsern guten
Hofmeier's, welche der Kinder wegen,
die alle Keuchhusten hatte da waren.
Zwei Tage später kehrten wir alle
drei nach W. zurück; obschon ich auf
Dr. Lindner's Wunsch noch hätte in B.B.
bleiben müßen. Ich hatte aber keine
Ruhe, daß Willy nun allein zu Hause
wirthschaften sollte und das war auch
richtig. Als wir zurückkehrten, wur-
de er sogleich bestürmt, das Rektorat
zu übernehmen bis ein Neuer gewählt
sei. Da gab es den̄ eine Sitzung um die
Andere und das Unangenehme von
solchen Wahlen blieb auch nicht aus,
da war es den̄ doppelt gut, daß er
wenigstens zu Hause seine Ruhe fand.
Aber auch ich finde reichlich meine Arbeit,
den̄ ich habe im̄er noch kein Zim̄ermäd-
chen und bin ziemlich abgerißen nach
Hause zurück gekehrt. Meine beiden
Näherinen sind nun beide verheiratet,
und gehen lieber nicht mehr aus zum
nähen. So muß man dan̄ selbst wie-
der in's Joch, was ich ja auch ganz
gerne thun will, wen̄ ich nur recht
vergnügt daran gehen kan̄. Doch
die erste Woche meines hier sein, war
ich sehr verstim̄t, da ich gerade so viel
hustete u. so schlecht schlief, als wäre ich
nie fort gewesen. Doch nun ist es wie-
der besser, was ich für meines Man̄es
Beruhigung doppelt hoch anschlage.
An Sorgen fehlt es ja ohne dieß nicht;
Bertha's Rücken ist durch das starke
Wachsen und das viele Schulsitzen in
Gefahr. Wir mußten sie vorläufig aus
der Schule nehmen u. darf sie nur ein
paar Stunden circa 4 in der Woche nehmen
welche sie zu Hause erhält, dafür hat sie
2 bis 3 Stunden im Tag zu th Turnen
meistens unter Aufsicht des Assisten
von H. Schönborn. Es ist für sie eine
ziemlich schmerzhafte Sache und hat sie
eine Aufmunterung nöthig; sie selbst
ist geduldig u. voller gutem Willen.
Mich aber kostet das Alles viel Zeit, den̄
ohne Aufsicht ist gar nichts zu machen,
doch was thäte ich nicht gerne um dem
Kind eine trübe Zukunft zu sparen?
Nun aber liebe Lotte wird es Zeit, daß
ich von Dir u. den l. Deinen spreche. Nur
all'zu sehr verlange ich wieder nach
Deinen Nachrichten. Wie mag es Lisel
auf der Seereise ergangen sein? Hof-
fentlich hat sie Alles gut überstanden
und ist sie wohlbehalten an ihrem Be-
stim̄ungsort angelangt. Daß Deine
Eltern darüber schwere Stunden gehabt
kan̄ ich mir denken u. hoffe, daß sie
nun keine Ursache mehr haben sich zu
ängstigen. - Daß Fr. Sachs wieder nach
München geht, freut mich sehr für Dich,
aber auch nicht minder für sie selbst,
meine ich doch, sie müße hier mit ihrer
Begabung wie am verschmachten leben.
Eigentlich habe ich ein ganz schlechtes Gewis-
sen wen̄ ich an Dein Sächsle denken, daß
ich ihr nie einen Gegenbesuch gemacht.
Und doch war es nicht Mangel an In-
treße, so manches Mal dachte ich an sie
und nahm mir vor, zu ihr zu gehen,
aber ich war den Winter zu sehr ge-
hindert, Besuche zu machen, da Dr. Lindner
es gerade zu verboten hatte. Wen̄ Du
sie siehst so sage ihr meine Grüße u.
wie leid es mir thue, daß ich noch nicht
bei ihr gewesen sei.- Für heute muß
ich Schluß machen, die Pflicht ruft mich
zu andern Dingen, morgen hoffe ich
wieder ein Stündchen zu finden um
noch mehr zu schreiben.
den 14 Mai 1895.
Es ist heue spät geworden, bis ich an den
Schreibtisch kom̄e, aber ich will doch wenig-
stens den Versuchen machen meinen Brief
zu ergänzen. Ich habe noch einmal
Deinen Brief vom 7. IV. durchgelesen,
wo mir fast aus jeder Zeile die Ver-
sicherung Deiner Zufriedenheit mit
Deinem jetzigen Loos auffällt. Brauche
ich dir zu sagen, liebe Lotte, wie sehr
mich das freut und hoffe ich von ganzem
Herzen, daß Dir dieses Glück beständ-
ig ist. Dein neues Unternehmen eine
Schule zu gründen finde ich sehr löblich
doch eine schwere Aufgabe, möge sie
doch einst nicht zu schwer auf Dir lasten,
neben all'den übrigen Intreßen
die Dich so reichlich geschäftigen.
Wen̄ ich neidisch sein kön̄te, so möchte
ich es wohl einmal ein bischen auf
Dich sein, der es vergön̄t ist, Deine
Gedanken auf so viel Schönes z richten.
Doch Alls hat ja sein Gutes, und we
nicht mitfliegen kan̄ muß doch dank-
ar sein, daß er mitgeht. Der Mensch
ist nun einmal so verschieden gear-
tet und beanlagt, wohl dem der auch
mit seinen kleinen Leistungen zufrieden
bleibt! - Sehr freute mich die Nachricht,
das es Deinen Eltern gut geht, sowie
daß August mit seinem neuen Aufent-
halt zufrieden ist.
Soeben erhalte ich eine traurige Nachricht,
einer meiner Neffen welcher in Zürich
lebt, ist erkrankt und soll er einen
Begin̄ von Lungenschwindsucht haben.
Dies wäre furchtbar traurig, er hat
eine kränkliche Frau u. 3 Kinder, das
Jüngste, ist erst 2 Monat alt.
Ich schließe, den̄ ich bin ganz traurig u.
kan̄ nichts anderes mehr denken.
Mit vielen Grüßen an Dich u. die Deinen
Deine getreue
Tante Bertha